Prolog
Diese Geschichte ist aus Sicht eines Drachen geschrieben, und muss auch aus solcher gelesen werden. Wer sie nach menschlichen Maßstäben bewerten will, wird scheitern und sollte sich daher anderen Geschichten zuwenden!
Als ich aus meinem Ei schlüpfte war die Welt um mich herum kalt
und leer. Ich kannte meine Eltern nicht, aber nach dem Chaos zu urteilen,
das um mich herum herrschte, waren sie nicht freiwillig von mir gegangen.
Die Spuren eines Kampfes waren unübersehbar, aber er schien lange
vor meiner Zeit getobt zu haben. So stand ich nun in einem verlassenen
Hort und nur ein schmaler Sonnenstrahl wärmte meine noch feuchte Haut.
In meiner Verzweiflung, und vom Hunger getrieben, verließ ich mein
Nest und lief aus dem Gewölbe in den angrenzenden Wald. Es war zwar
Sommer, und der Wald voller reifer Früchte, aber woher sollte ich
wissen welche für ein hungriges Drachenbaby
wie mich genießbar waren? Ich wäre wohl in der Einsamkeit zugrunde
gegangen, wenn mich nicht ein alter weiser Druide gefunden hätte,
als ich halb verhungert und vergiftet auf einer Lichtung lag. Er nahm mich
auf und lehrte mich die Sprachen der Elfen, Menschen und die Gesänge
der Alten. Er brachte mir bei, die Natur und die verschiedenen Wesenheiten
zu achten, und nicht vorschnell ein Urteil über andere zu fällen.
Mein Mentor starb lang bevor ich flügge war, ich hatte jedoch bis
dahin gelernt mich durchzuschlagen. Obwohl er mich so viel gelehrt hat,
habe ich nie seinen Namen erfahren. Ich blieb noch im Wald, da meine Schwingen
noch zu klein und nicht in der Lage waren mich zu tragen. Eines Tages traf
ich eine Elfe. Sie griff mich nicht an, obwohl sie sichtlich hungrig war.
Ich überließ ihr also die Reste eines Wildschweines das ich
gerade geschlagen hatte. Als sie ihren Hunger gestillt hatte, -sie machte
sich nicht die Mühe das Fleisch zu braten-, sprach ich sie an. "Wie
heisst Du?" Sie antwortete zunächst nicht; ich überlegte gerade
ob ich vielleicht eine andere Sprache wählen sollte, als sie antwortete:
"Arsinoe!" Sie wischte sich den blutigen Mund ab und musterte mich eingehend.
"Ich habe noch nie einen blauen Drachen gesehen!" sagte sie dann. "Und
ich noch keine Elfe die rohes Fleisch verschlingt!" Sie blickte betroffen
auf die Reste des Wildschweines. "Du wirst mir nichts tun?" fragte sie
und blickte auf meine zwar kleinen, aber doch messerscharfen Klauen und
meinem von der Jagd gestählten Körper. "Nein," entgegnete ich:
"warum sollte ich? Es gibt hier mehr als genug zu essen. Außerdem
ist mir deine Gesellschaft lieber als dein Fleisch." In diesem Moment schien
sie sich ihrer völlig zerissenen Kleider bewusst zu werden, die sie
kaum noch bedeckten. Ich fing ihren nach Deckung suchenden Blick auf und
sagte: "Vielleicht solltest du dich mehr des Schmutzes schämen der
deinen Körper bedeckt, als der Nackheit die darunter eh nicht zu sehen
ist!" Ich drehte mich um, und bedeutete ihr mir zu folgen als ich in Richtung
des Baches der den Wald teilte voranging. "Kannst du nähen?" fragte
ich als wir den Bach erreichten. "Was? äh...nähen? Ja!" stammelte
sie verwirrt. "Dann habe ich eventuell etwas für dich", murmelte ich
und schubste sie in den glasklaren Bach, über dessen sandigem Grund
Forellen in der Strömung standen. Ob es ihr erschreckter Schrei war,
oder die plötzliche Trübung des Wassers, weiß ich nicht,
aber die Forellen machten sich schlagartig aus dem Staub. Wütend rappelte
sie sich auf, nur um in der Strömung erneut das Gleichgewicht zu verlieren
und wieder ins Wasser zu fallen. Als sie das nächste mal auftauchte
strich sie sich nur die Haare aus der Stirn, und schaute mich seltsam ruhig
an. Als unsere Blicke sich trafen ließ sie sie zurück ins Wasser
gleiten und begann sich in dem erfrischenden Nass zu baden, wärend
ich am Ufer saß und unfähig war mich zu bewegen. Die Reste ihrer
zerrissenen Kleidung waren längst fortgeschwemmt, und unter dem Schmutz
der vergangenen Tage trat ihre helle weidenholzglatte Haut hervor. Es dauerte
eine ganze Weile bis der Staub aus ihren langen dunklen Haaren gewaschen
war, so dass ihre Lippen schon leicht blau waren, als sie aus dem Wasser
stieg. Sie strich sich das Wasser aus den Haaren, und setzte sich auf einen
Felsen um sie in der Sonne zu trocknen. Das Wasser perlte von ihrer Haut
ab und glitzerte in der Sonne wie kleine Diamanten. Einzelne Tropfen perlten
von ihrem Hals abwärts und bildeten ein schmales Rinnsal, das zwischen
ihren Brüsten hindurch zum Bauchnabel rann und, nach einem kurzen
Aufenthalt, weiter nach unten floss, um in dem schmalen dunklen Dreieck
zwischen ihren Schenkeln zu verschwinden. Ihre Schönheit zog mich
in den Bann; ihre plötzliche Unbefangenheit überraschte mich,
aber da ich bis dahin wenig Kontakt mit Menschen gehabt hatte, waren mir
die panikhaften Reaktionen mancher Frauen nicht bekannt. Ich betrachtete
ihr feingeschnittenes Gesicht, ihre vollkommenen Proportionen, die elegante
Feingliedrigkeit ihrer Hände und ihr in der Sonne glänzendes
Haar, das schimmerte wie Ebenholz. Aber nichts von dem erreichte nur annähernd
die vollendete Faszination die mich erfasste, als ich in ihre Augen sah
und in eine glänzende Tiefe blickte, die bodenlos wie die Oberfläche
eines stillen Weihers bei Mondschein war.
Als ihre Haare getrocknet waren, führte ich sie zu der mittlerweile etwas verkommenen Behausung meines toten Mentors.Beim Betreten des wohlbekannten Hauses überkamen mich vielfältige Gefühle. Die Trauer über den Verlust des Freundes der mich aufgezogen hatte, die Unsicherheit über meine Herkunft und meine Zukunft, aber auch die Freude über meine neugewonnene Gefährtin. Ich stieß die Tür zu einer kleinen Kammer im hinteren Teil der Hütte auf, die dem Druiden als Lagerraum gedient hatte. Nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, öffnete ich eine Truhe, von der ich wusste, daß sie Stoffbahnen enthielt, aus denen der Druide Filter für seine Tränke geschnitten hatte. Arsinoe trat neben mich und untersuchte die Stoffbahnen. Sie waren unterschiedlich grob gewebt, die meisten waren naturfarben und fasrig, aber es lagen auch einige Stücke feineren Stoffes darunter. Als sie neben mir kniete und sich über die Stoffe beugte, vernahm ich den Duft ihrer Haare und ihrer samtweichen Haut. Eine wohlige Wärme stieg in mir auf und ehe ich mich versah, war ich ihr mit meiner gespaltenen Zunge über den Rücken gefahren! Sie quietschte kreischend auf und fuhr herum, nur ein schneller Rückzug verhinderte, dass sie meine Zunge zu fassen bekam. "'tschulligung!" murmelte ich erschreckt als sie mich bös' ansah. Dann aber hellten sich ihre Züge wieder auf: "Wer hat dir bloß Manieren beigebracht?" sagte sie halb tadelnd, halb lächelnd. Ich schaute verlegen und scharrte leicht mit den Vorderpfoten über den Holzfußboden. Sie streckte eine Hand aus, ich zuckte zunächst zurück, ließ dann aber doch zu, daß sie mich berührte. Sie strich mir übers Gesicht und über den Kopf, dann beugte sie sich vor und küsste mich auf die Stirn. Die Berührung ihrer Lippen war warm und weich und meine Haut kribbelte unter ihrem Atem. Ich erwog zurück zum Bach zu gehen und mich ein wenig abzukühlen, aber ich hatte Angst sie könnte nicht mehr da sein wenn ich wiederkäme. Ich versprach also meine Zunge im Zaum zu halten und ihr, wenn nötig, zur Hand zu gehen. Sie trug die Stoffbahnen in den Hauptraum der Hütte und begann sie nach Festigkeit und Dicke zu sortieren. Ich erbot mich die übrigen Stoffe zurück in die Kammer zu bringen, aber sie meinte, sie hätte sie lieber ohne -von Drachenzähnen sauber gestanzte- Luftlöcher. Ich gehorchte, mir fiel aber auf, dass sie in der kühlen Hütte zu frösteln begann. Also entschuldigte ich mich bei ihr und trabte in den Wald hinaus um Feuerholz zu sammeln. Das war eine recht mühselige Aufgabe, da ich zwar kräftig genug war, aber einfach nicht genug Äste ins Maul nehmen konnte. Endlich fand ich einen großen vom Sturm abgebrochenen Ast, den ich kurzerhand im Ganzen zur Hütte zerrte. Dort zerkleinerte ich den Ast in kamingerechte Stücke, was mir irren Spaß bereitete. Das letzte Stück, das zu stabil zum Zerbrechen war, bearbeitete ich mit den Krallen, so daß feine Späne entstanden die später zum Anzünden genutzt werden konnten. Als ich meinen Übermut ausgetobt hatte lief ich noch einmal zum Bach zurück und spülte mir die Holzspäne vom Körper. Die Sonne neigte sich schon dem Horizont zu, als ich mich zurück zur Hütte begab um zu sehen wie weit Arsinoe war. Ich lugte vorsichtig ins Innere und stellte überrascht fest, daß sie bereits wieder angekleidet war, was mich mit einem Anflug von Bedauern erfüllte. "Ich habe etwas Feuerholz gesammelt, kannst du Feuer machen?" fragte ich. Sie drehte sich zu mir. "Gefällt es dir?" fragte sie und drehte sich vor mir um sich selbst. "Äh ja, natürlich!" stammelte ich verwirrt, ich konnte ja nicht sagen, dass sie mir ohne besser gefiel! Sie musterte mich mit einem Blick als ob sie meine Gedanken erraten hätte. Dann zuckte sie mit den Schultern und wechselte das Thema. "Natürlich kann ich Feuer machen, vorausgesetzt ich finde hier irgendwo Feuerstein und Zunder!" Sie sah mich fragend an: "Du bist doch ein Drache, wieso machst du kein Feuer?" Verlegen schaute ich zu Boden. "Ich weiß nicht wie..." murmelte ich gepresst. Sie brach in schallendes Gelächter aus. Gekränkt ließ ich die Ohren hängen und wandte mich zur Tür. Ihr Lachen verstummte, und noch bevor ich die Schwelle erreichte hatte sie mich eingeholt. "Tut mir leid! Ich wollte dich nicht verletzen!" Ich schnaubte leicht und schlurfte langsam weiter. Sie ging vor mir in die Hocke und nahm meinen Kopf in beide Hände, so dass ich stoppen musste. "Ich dachte nicht, dass ein Drache feuerspeien erst lernen müßte!" sagte sie entschuldigend und sah mir in die Augen. In diesem Moment wurde mir klar, was mein ganzes Leben lang gültig bleiben würde: Ich konnte ihr einfach nicht böse sein. Sie legte meinen Kopf in ihren Schoß und kraulte mich hinter den Ohren und zwischen den Hörnern. Ich fing gerade an es richtig zu genießen, als ich bemerkte, dass ihre Hände zitterten. Ich drehte mich um sie, und schob sie langsam rückwärts zur Tür hinein. Dann bugsierte ich sie zum Lager. "Häng dir erstmal eine Decke um", meinte ich, aber als sie sie anhob sahen wir, dass sie von Mäusen zerfressen war. "Naja, fürs erste muss es reichen", murmelte sie und hüllte sich in den löchrigen Fetzen. Ich gab ihr einen Schubs in Richtung Kamin, und trabte nach draußen um Feuerholz zu holen. Ich schaufelte etwas Holzspäne in einen Bottich, und trug in zu Arsinoe. Sie hatte inzwischen die Feuersteine gefunden, aber der Zunderschwamm war verdorben. Trotzdem schichtete sie die Späne in den Kamin, und schlug die Steine aufeinander um sie zu entzünden. Die Funken waren aber zu schwach um die Späne zu entzünden, da sie mit ihren klammen Händen nicht den richtigen Aufschlagwinkel fand. Die Sonne war längst untergegangen, und langsam wurde es dunkel in der Hütte. Verzweifelt schlug sie die Steine aufeinander bis ihre Hände ganz rauh waren von den scharfkantigen Steinen. Dann ließ sie die Hände sinken, und schaute mich mutlos an. Was hätte ich jetzt darum gegeben Feuerspeien zu können! "Willst Du es mal versuchen?" fragte sie mich entmutigt. Ich schaute meine krallenbewehrten Pfoten an und bezweifelte, dass ich die Steine würde fassen können. Trotzdem nickte ich, und sie übergab mir die Steine. Den größeren von beiden konnte ich flach zwischen den Krallen halten, aber den kleineren dann auch noch dagegenzuschlagen ohne ihn aus der Pfote zu verlieren erwies sich als unmöglich. Nach einigen vergeblichen Versuchen bemerkte ich, dass meine Krallen mehr Funken schlugen, wenn sie den Stein streiften, als der Feuerstein. Ich legte also den kleineren Stein zur Seite und hieb mit den blanken Krallen auf den anderen. Und tatsächlich sprühte ein ansehnlicher Funkenregen auf die aufgehäuften Holzspäne. Arsinoe lachte begeistert und schaute aufgeregt auf die sprühenden Funken. Ich schlug noch zweimal kräftig, dann sahen wir einen kleinen Funken Glut, der sich langsam durchs Holz fraß. Arsinoe blies vorsichtig und legte feinste Holzspäne an den glühenden Bereich. Schließlich züngelte ein kleines Flämmchen hervor. Ich lief schnell nach draußen und holte etwas Reisig und ein paar stärkere Zweige. Sie schichtete sie auf die höher züngelden Flämmchen, und wenig später hatte wir bereits ein wärmendes Feuerchen. Ich ging noch zweimal hinaus und holte etwas Holzvorrat, dann schob ich die, etwas schief in den Angeln sitzende, Türe zu und setzte mich zu Arsinoe, die die Hände zum Feuer streckte. Sie schaute mich mit glänzenden Augen an, in denen sich das Feuer spiegelte. "Du kannst ja doch Feuer machen!" sagte sie mit einem schalkhaften Lächeln. Ich lachte mit dem Ton einer Bronze-Glocke und streckte mich hinter ihr auf dem Boden aus. Sie nahm ihre löchrige Decke und kuschelte sich an mich. Sie fühlte sich immer noch ziemlich kühl an, und so drehte ich mich auf die Seite und legte mich bogenförmig um sie. Sie legte ihren Kopf auf meinen Hals und kuschelte sich eng an meinen warmen Bauch. Sie seufzte entspannt, und wenig später bemerkte ich wie ihre Atemzüge gleichmäßiger wurden, sie war eingeschlafen. Ich zog ihr ein bisschen die Decke zurecht und legte etwas Holz nach. Mit einer Mischung aus Wohlwollen, Freude und Belustigung betrachtete ich dieses schöne Geschöpf, daß sich auf der Suche nach Wärme und Geborgenheit an einen Drachen schmiegt. Ich blieb noch lange wach, um das Feuer in Gang zu halten. Erst als der Morgen dämmerte schloss auch ich die Augen..... Mein Schlaf war tief und traumlos. Als ich erwachte hatte die Sonne
bereits ihren höchsten Punkt überschritten. Ich hob den Kopf,
und sah Arsinoe an dem kleinen, schiefen Tisch sitzen, auf dem sie zuvor
die Stoffe sortiert hatte. Sie musste früh aufgestanden sein, denn
sie trug einen Umhang, den sie gestern noch nicht hatte. Als sie bemerkte,
dass ich wach war, lächelte sie vorsichtig. Sie schien sich nicht
sicher zu sein, ob es klug gewesen war in der Behausung eines Drachen zu
bleiben. Sie legte das wilde Gemüse, dass sie gerade putzte beiseite,
und sah mich an. Der Glanz ihrer Augen faszinierte mich, ich richtete mich
auf und ging auf sie zu. Sie saß da, wie das sprichwörtliche
Kaninchen vor der Schlange, und wagte sich nicht zu rühren. Ich wusste
nicht recht wass ich tun oder sagen sollte, also küsste ich sie und
wandte mich dann schnell zur Tür, um meine knurrenden Magen zu verbergen."Du
bist hier willkommen, so lange du willst!" sagte ich beim hinausgehen und
sah sie kurz an. Dann trabte ich in den Wald um meinen Hunger zu stillen.
Die Sonne schien warm auf mich nieder, ich streckte meine Schwingen aus
und spannte prüfend die noch unzureichende Muskulatur. Enttäuscht
faltete ich die Flügel wieder an den Körper und begab mich an
den Rand der Lichtung, auf der ich immer die besten Chancen hatte meinen
Magen zu füllen. In der Mitte der Lichtung lag ein kleiner kristallklarer
See, der von einem Bach gespeist wurde, der nun im Hochsommer zu einem
Rinnsal geschrumpft war. Der See war fischreich, sodass mir eine Fischmahlzeit
immer sicher war. Heute hatte ich allerdings Lust auf eine Herausforderung.
Nicht nur ich nutze die Lichtung zur Jagd, auch andere Jäger wurden
von der Vielfalt des Nahrungsangebots angezogen. Ich verharrte im schattigen
Unterholz, und beobachtete eine kleine Herde Rehe die über die Lichtung
in Richtung See zog. Die Herde wurde von einem stattlichen Hirsch begleitet,
dessen rotgoldenes Fell in der Sonne schimmerte. Ich bewunderte die Grazie
mit der sich die Tiere bewegten, und bedauerte, das ich eines von ihnen
würde opfern müssen. Nach dem die Rehe ihren Durst am Wasser
gestillt hatte, grasten sie friedlich in der Nähe des Sees. Ich wusste,
dass meine Gelegenheit bald kommen würde und lag still auf der Lauer.
Mein Herz pochte, ich hatte schon länger geplant mir diesen Triumph
zu gönnen, als der Hirsch den Kopf hob und ein warnendes Röhren
ausstieß. Der Hirsch trieb seine Herde vor sich her auf mich zu,
aber ich wusste, dass er es nicht schaffen würde. Endlich kam sie
in mein Blickfeld, die Peinigerin meiner Herde, die Harpie! Sie stieß
auf die Herde herab, versuchte ein Tier zu isolieren. Der Hirsch trieb
seine Herde voran, bemühte sich sie zusammen zu halten. Vergebens!
Die Harpie überflog die Herde und schlug ihre Klauen in den Rücken
einer Rehkuh, das Tier schrie verzweifelt, verlor das Gleichgewicht und
stürzte mit der Harpie zu Boden. Zwei weitere Rehe stolperten über
die Harpie und ihr Opfer, konnten sich aber wieder aufrappeln und sich
im Wald in Sicherheit bringen. Die gesamte Herde verschwand im Wald, die
Jagd war für die Harpie vorbei, für mich jedoch begann sie erst.
Geduckt setzte ich mich in Bewegung. Die Harpie war etwa 30 Schritte von
mir entfernt, die Schreie ihres Rehs waren verstummt und ich konnte sehen
wie sie sich über ihr Opfer beugte, und große Stücke Fleisch
herausriss. Mir kamen die Worte meines Mentors ins Gedächtnis: "Alle
Geschöpfe haben ihre Natur, also achte sie!" Ich sah auf den blutigen
Fleischhaufen, den die Harpie bearbeitete, und konnte ihr das nicht verzeihen.
Ich war kaum 5 Schritte von ihr entfernt, als sie mich bemerkte. Sie drehte
sich ruckartig um, und flog mit einem Kreischen auf mich zu. Sie wollte
mich von ihrer Beute vertreiben, rechnete nicht damit, dass ich sie angreifen
könnte. Ich wich ihren Krallen aus, als sie mich überflog, sprang
dann hoch, und bohrte meine Klauen in ihren Leib. Ihr Schwung riss mich
von den Beinen und warf mich auf den Rücken, sie stürzte hinter
mir ins Gras. Ich sprang auf und drehte mich zu ihr, auch sie war schon
wieder auf den Beinen, ich sah das Blut von den Wunden rinnen, die ich
ihr geschlagen hatte. "Du Narr! Das wird dein Tod sein!" zischte sie, und
sprang auf mich zu. Ich wich zur Seite, konnte aber nicht verhindern, das
ihre messerscharfen Klauen meinen nur schlecht gepanzerten Hals trafen.
Ich fühlte den schneidenden Schmerz und mir wurde bewusst, aus der
Jagd war ein Kampf auf Leben und Tod geworden. Ihren nächsten Angriff
wollte ich nicht abwarten, als sie also wendete, sprang ich sie an, und
grub meine Klauen tief in ihren Körper. Sie stürzte zu Boden,
versuchte mit den Beinen nach mir zu treten, aber ihre Krallen glitten
an meinen festen Körperschuppen ab. Sie war weit größer
als ich, und versucht, mich von ihr herunter zu drehen, um mich mit dem
Schnabel zu fassen zu bekommen. Sie hatte es fast geschaft, als ihr Hals
in Reichweite meiner Fänge kam, und ich die Chance nutzte und zubiss.
Ich spannte meine Kiefer mit aller Kraft, bis ich spürte wie die Knochen
unter dem Druck nachgaben und splitterten. Ein Vibrieren durchlief den
Körper der Harpie, dann war der mörderische Kampf vorbei. Ich
ließ von ihr ab, und betrachtete mein Werk, aber kein Triumphgefühl
erfüllte mich, sondern nur Erschöpfung und Leere. Ich hatte zum
ersten Mal ein intelligenzbegabtes Wesen getötet, und so häßlich
und grausam sie auch gewesen sein mochte, mit welchem Recht maßte
ich mir an über sie zu urteilen? Der Gedanke ihr Fleisch zu essen
widerte mich plötzlich an und ich wollte mich gerade abwenden, als
mir das goldene Geschmeide an ihrem Hals auffiel. Woher mochte sie es haben?
Ich beschloß es an mich zu nehmen, denn es hier draußen liegen
zu lassen wäre Verschwendung gewesen. Als ich es mir über den
Kopf zog streifte es die Wunde an meinem Hals, und ich schrie vor Schmerzen
auf. Ein kleiner Streifen Blut rann meinen Hals hinab, und tropfte zwischen
meinen Füßen zu Boden. Als ich der Wunde gewahrte, kehrte auch
mein Hunger zurück. Ich sah auf die Körper des Rehs und der Harpie,
konnte mich aber nicht überwinden von ihnen zu fressen. Also beschloß
ich, nun doch zum See zu gehen und eine Fischmahlzeit zu besorgen. Bei
dem Gedanken erinnerte ich mich an Arsinoe, und sah an meinem blutverschmierten
Köper herab. "Ohoh!" murmelte ich, und stürzte mich in die kristallklaren
Fluten, die sich sofort rot färbten. Das Wasser brannte in der Wunde,
aber ich versuchte es zu ignorieren und wusch die Wunde aus. Das sich im
Wasser verteilende Blut lockte Raubsannegta an, die in ihrem Blutrausch
für mich zur leichten Beute wurden. Ich fraß einige auf der
Stelle um meinen Hunger zu stillen, dann fing ich zwei der größten
Exemplare für Arsinoe. Es war keine leichte Aufgabe für mich
die zappelnden Fische im Maul zu behalten, als ich nach Hause lief. Die
Sonne hatte ihren Zenit schon weit hinter sich gelassen, als ich die Hütte
erreichte. Mit den baumelnden Fischen im Maul lugte ich zur Tür herein.
Arsinoe beugte sich über das Feuer und rührte in einem Kupferkessel.
Die Tür quietschte in den Angel, und sie drehte sich um. Ein heiteres
Lachen erscholl: "Bist du süss!" rief sie und schaute abwechselnd
auf die Fische und auf mich. "Prima!" sagte sie. "Dann gibts ja doch noch
etwas richtiges zu beissen!" Sie kam auf mich zu, nahm mir die Fische aus
dem Maul und legte sie auf ein Schneidebrett. Dann drehte sie sich zu mir
um und kraulte mich hinter den Ohren. Ihre Hände liebkosten meinen
Nacken und wanderten meinen Hals hinab. Sie küsste meine Nasenspitze,
als ihre Finger meine Wunde ertasteten. Grob schob sie meinen Kopf zur
Seite, "Wo hast du denn das her?" fragte sie tadelnd und betastete den
Schnitt. Dabei viel ihr Blick auf das Geschmeide an meinem Hals. Sie öffnete
den Verschluß und warf es achtlos beiseite. "Leg dich da hin!" befahl
sie in einem Ton, der mir gar nicht gefiel, aber ich gehorchte, da ich
ahnte das Widerspruch zwecklos sein würde. Sie lief hinaus, und kam
wenige Minuten später mit einem Bündel Kräuter in der Hand
wieder herein. Fragend blickte sie auf mich, "Wer hat hier gewohnt?" wollte
sie wissen, während sie die Kräuter in einer Schale wusch. "Mein
Mentor, ein Druide..." murmelte ich abwesend als sie die Kräuter auf
meine Wunde legte. Es brannte ein wenig, als sie die Kräuter in die
Wunde rieb. "Der Garten hinter dem Haus ist gut sortiert, aber total verwildert",
brummelte sie abwesend. Routiniert zerriss sie ein Stück Stoff und
komplettierte den Verband. Dann schob sie mir ein Bündel Stoff unter
den Kopf und streichelte meinen Hals, schließlich wandte sie sich
ab und ging zurück zum Tisch. Sie waidete den Fisch aus, würzte
ihn und spießte ihn auf. Vorsichtig nahm sie den Kessel mit dem Gemüse
vom Feuer und legte den Spieß auf die Feuerböcke. Sie hängte
den Kessel an einen Haken neben dem Feuer und schöpfte etwas Gemüse
in eine Schale. Sie nahm einen Holzlöffel und setzte sich neben mich.
Ich sah skeptisch mit an wie sie etwas Gemüse auf den Löffel
nahm und abkühlen ließ. Als sie mir den Löffel entgegenstreckte
verzog ich das Gesicht, sie legte den Kopf zur Seite und runzelte vorwurfsvoll
die Stirn. "Ich bin doch kein Kaninchen", maulte ich, machte aber zögernd
das Maul auf. Sie hingegen zögerte überhaupt nicht und schob
mir den Löffel zwischen die Zähne. Ich verzog vorsichtshalber
das Gesicht, aber der würzige Geschmack des Gemüses belehrte
mich eines besseren. Arsinoe war sich ihrer Sache anscheinend sehr sicher,
denn sie schob gleich einen zweiten Löffel hinterher. Ich versuchte
die ungewohnte Würze zu erfassen, aber dieses Geschmackserlebnis entzog
sich jeder Beschreibung. Bereitwillig lies ich mich füttern, und fand
es sogar sehr angenehm, leider war der Teller viel zu schnell leer. Arsinoe
stand auf, wendete den Spieß, schöpfte den Teller erneut voll
und setzte sich wieder zu mir. Bereitwillig sperrte ich das Maul auf. Sie
lächelte, "Eigentlich war der für mich, du Gierschlund!" noch
bevor ich das Maul enttäuscht wieder schließen konnte, hatte
sie mir den Löffel in selbiges gesteckt und mir einen Kuss auf die
Schnauze gedrückt. Schuldbewußt und verwirrt sah ich sie an.
Noch nie hatte mich jemand so umsorgt, selbst der Druide der mich geheilt
und aufgezogen hatte, war deutlich distanzierter gewesen, und so eroberte
sie mein Herz im Sturm.
Der Morgen kam klar und kühl, die Sonne erhellte den Wald in strahlendem
Licht und der Morgendunst schimmerte mystisch zwischen den Bäumen
und auf den Lichtungen. Die Vögel begrüßten zwitschernd
den Tag, und in der Luft lag ein Duft der den Körper belebte und die
Sinne beflügelte. Sonnenschein duchdrang das kleine Fenster, und schien
wärmend auf meine Flanke und tauchte Arsinoes Haar in bronzenes Strahlen.
Ich streckte vorsichtig die Gliedmaßen, darauf bedacht meine kleine
Schönheit nicht zu wecken. Dann ließ ich vorsichtig ihren Kopf
von meinem Hals auf die Decke sinken, sie brummelte im Schlaf, wachte aber
nicht auf. Langsam entfernte ich mich von ihr, und schlich nach draußen,
um den Sonnenaufgang zu genießen. Vor der Tür hielt ich
inne und sog die frische Morgenluft tief in meine Lungen. Ich konnte spüren
wie die kühle Frische in meine Lungen drang und Kräfte freisetzte,
die in ihrer ungebändigten Wildheit durch meine Muskeln drangen. Ich
räkelte mich in den ersten Sonnenstrahlen, die trotz des Morgendunstes,
meine Haut angenehm erwärmten. Voller Tatendrang grub ich meine Krallen
in den Boden und begrüßte den Morgen mit einem grollendem
Drachenröhren, als ich spürte wie Arsinoes weiche Hände
über meinen Rücken strichen und sie sich von hinten an mich schmiegte.
"Na mein kleiner Drachenheld," sagte sie sanft: "was möchtest du heute
tun?" Da war es wieder dieses wohlige Gefühl... "Zeigst du mir deinen
Wald?" "Magst du auf mir reiten?" erwiderte ich der Frage und wurde mir
gleichzeitg bewusst, dass sie diesen Wald als meinen Wald bezeichnet
hatte, so hatte ich das noch nie gesehen. Sie schaute mich einen
Moment fragend an, setzte sich aber dann leichtfüßig auf meinen
Rücken. Es muss ziemlich seltsam ausgesehen haben, denn ich war gerade
so hoch, dass ihre Beine nicht den Boden berührten. Ich setzte mich
in Bewegung, und ging sofort in den Tölt über, um ihr einen möglichst
angenehmen Ritt zu bieten, ungeachtet der Tatsache, dass ich mir dabei
fast die Beine brach. Ich hatte mein Ziel klar vor Augen, und bewegte mich
zügig voran, so dass die Sonne noch nicht ganz über die Baumkronen
geklettert war als wir meinen Sonnenfels erreichten. Kaum langsamer werdend
erklomm ich den schroffen Fels, was Arsinoe dazu veranlasste, sich erschreckt
an meinem Hals festzuklammern. Ein stechender Schmerz erinnerte mich an
meine Wunde, aber ich ignorierte ihn einfach, viel schöner war die
innige Berührung ihrer Wärme. Der Felsenhaufen war nicht sehr
hoch, und doch konnte man von hier den Wald auf viele Drachenlängen
überblicken. Arsinoe saß ab, und stellte sich neben mich, ich
setzte mich auf die Hinterläufe und drückte mich seitlich an
sie. Die Sonne war nur wenig über die Wipfel emporgestiegen, und ließ
den Morgendunst, der über dem Wald lag in erstrahlen. Weit im Norden
konnte man die schemenhaften Umrisse der Drachenwallfeste erahnen, während
rechts davon das Meer der Ruhe in der Sonne glitzerte. Arsinoe legte eine
Hand auf meinen Nacken, und wir genossen den Ausblick
auf die weitläufige Landschaft, in der gerade das Leben erwachte.
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to be continued....maybe.....sometimes....